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18. June 2021

Die Tiefen unter Budapest

Ungarn. Budapest ist weltweit für seine Thermalbäder berühmt. Weniger bekannt ist, dass unter der Donaumetropole ein riesiges Unterwasserhöhlensystem liegt, das Taucher aus aller Welt in seinen Bann zieht.

von Michael Biach
auch erschienen in: Die Presse | Reisen am 12. Juni 2021

Es versetzt auch viele Einheimische immer wieder in Staunen: Inmitten der geschäftigen Frankel-Leo-Straße am Fuße des Joszefbergs nahe dem ungarischen Burgpalast bringen Höhlentaucher in dunklen Tauchanzügen Berge an Ausrüstung und Tauchflaschen in die Ruinen eines alten türkischen Thermalbads. Dahinter befindet der Eingang zur Molnar-Janos-Höhle, ein System aus vielen verzweigten Gängen, die sich spinnennetzartig unterhalb der ungarischen Hauptstadt erstrecken. Inmitten einer riesigen Felsenhalle liegt ein unterirdischer Thermalsee, die Wände rundherum sind mit Gitternetzen vor herabfallenden Gesteinsbrocken geschützt, von der Decke tropft kontinuierlich Kondenswasser herab. Die Wassertemperatur beträgt 28 Grad und kühlt erst in zehn Metern Tiefe auf 20 Grad ab.

Abstieg in einen Canyon

Seit 2002 nehmen von dort zahlreiche Tauchexpeditionen ihren Ausgang, jedoch erst 2015 erhielt Attila Hosszu die alleinige Pacht der Unterwasserhöhle, baute die Tauchbasis vor Ort aus und organisiert mittlerweile spektakuläre Tauchgänge für Taucher aus der ganzen Welt. An fest verlegten Sicherheitsleinen können ausgebildete Höhlentaucher ins Innere vordringen. Als Belohnung für die Strapazen winkt eine Unterwasserkulisse wie aus einer anderen Welt: Vorbei an gigantischen Quadern, die aussehen, als wären sie von Riesen aus dem Stein gebrochen worden, geht es hinab in einen V-förmigen Canyon, der scheinbar unendlich in die Tiefe reicht und dort zunehmend schmaler wird. Orientierung lässt sich nur anhand der in kurzen Abständen angebrachten Pfeile behalten, die stets in die Richtung des Ausgangs zeigen. Ein direkter Aufstieg ist unmöglich, denn über den Tauchern befindet sich eine dicke Felsschicht.

Gelegentlich spiegeln sich die Abenteurer in Luftblasen an der Höhlendecke wider, die wirken, als hätten sie sich zu einem übergroßen Spiegel formiert. Wie riesige Quecksilbertropfen tanzt die ausgeatmete Luft an der Felsendecke entlang, scheinbar chaotisch auf der Suche nach einem Spalt Richtung Ausgang.

Nachdem die Taucher eine Engstelle überwunden haben, öffnet sich plötzlich eine enorme Halle vor ihren Augen. Die Höhlenwände zeigen gigantische, funkelnde Mineralablagerungen in den unterschiedlichsten Farben und Formen. Neben unzähligen Barytkristallen findet man während des Tauchgangs immer wieder fossile Ablagerungen aus einer Zeit, als das heutige Budapest noch am Grund des Ozeans lag.

Geologische Bruchlinie

"Es gibt wohl niemanden, den dieser Anblick nicht beeindruckt", schwärmt Attila von seiner Höhle, in die der athletische 50-Jährige auch nach vielen Jahren immer noch voller Begeisterung taucht. Dabei reizen ihn besonders die regelmäßigen Forschungstauchgänge in entlegene und bisher noch nicht erreichte Teile der Molnar-Janos-Höhle. "Jeder Tauchgang bringt neue Erkenntnisse, und hinter jeder Ecke wartet eine neue Überraschung."

Bis zu 70 Millionen Liter Thermalwasser fließen aus den weit über 100 unterirdischen Quellen. Zwei Dinge haben sie alle gemeinsam: ihren Ursprung und ihren Abfluss. Budapest liegt an einer geologischen Bruchlinie, denn tief unter einer mehrere Tausend Meter dicken Gesteinsschicht des Karpatenbeckens befindet sich die Kollisionslinie zwischen den Bergen und der Ebene. Dies hat zu einem gigantischen Bruch geführt, der das Wasser eines unterirdischen Sees mit enormem Druck nach oben presst. Über eine schier endlose Zeitspanne formte das Wasser langsam, aber beständig von innen heraus dieses fantastische Höhlensystem, dessen Ursprung wohl noch weit im Verborgenen liegt. Am Ausgang ergießen sich alle Quellen in die nur wenige Meter entfernt verlaufende Donau. So auch das Wasser der Molnar-Janos-Höhle.

Von Mine zu Keller zu Höhle

Die Donau teilt Budapest in zwei Hälften. Das hügelige Buda mit Zitadelle, Burgpalast und der Molnar-Janos-Höhle liegt am Westufer der Stadt, während im flachen Osten das Geschäftsviertel und die hippen Stadtteile von Pest zu finden sind. Doch auch hier wartet auf abenteuerlustige Taucher eine Entdeckungsreise in die Vergangenheit. Im Bezirk Kobanya befanden sich einst mehrere Steinbrüche, wovon sich auch der Name des Stadtteils herleitet. Viele der bekannten Prachtgebäude in Budapest wurden einst aus dem strahlend weißen Kalkstein, der hier in riesigen Quadern aus der unterirdischen Mine geschnitten wurde, gebaut. Eines der eindrucksvollsten Bauwerke ist sicherlich das ungarische Parlament am Ufer der Donau. Nach der Stilllegung der Kalksteinmine wurde das unterirdische Labyrinth zunächst von Winzern als Weinkeller genutzt. Anfang des 20. Jahrhunderts gingen die Kalksteinpassagen schließlich in den Besitz der berühmten Dreher-Brauerei über, im Zweiten Weltkrieg gab es hier auch eine versteckte Flugzeugmotorenfabrik.

Irgendwann wurden schließlich die Pumpen, die das ständig nach oben strömende Grundwasser aus der Mine brachten, abgestellt. So füllten sich die untersten Ebenen langsam mit Wasser. Joszef Spanyol hat die Mine gepachtet und führt gut ausgebildete Taucher durch die verwinkelten Gänge der überfluteten Fabrikskeller. Dabei stoßen Taucher in dem zwölf Grad kühlen Wasser immer wieder auf Überreste aus der Vergangenheit: Entlang der langen Kalksteinpassagen finden sich Überbleibsel der Minen- und Brauereimitarbeiter. Schuhe, Bierflaschen, Werkzeuge, Schubkarren und Leiterwagen. Einen Höhepunkt stellt dabei eine klassizistische Wendeltreppe dar, die die Taucher durch ein schmales Loch erreichen und an der entlang sie dann hinab bis auf den Grund der Mine tauchen können.

Ausbildung und Routine

Immer mehr Taucher zieht es in den Bann des Höhlentauchens, und seit die einst so gefährliche Extremsportart durch verbesserte Standards in Ausbildung und Ausrüstung zu einer Freizeitaktivität geworden ist, avanciert Budapest zur neuen Hochburg. Kurse werden auch in Österreich angeboten und beinhalten im Rahmen der Ausbildung ebenso diese abenteuerlichen Tauchgänge in Budapest.

"Eine fundierte Ausbildung und der routinierte Umgang mit der eigenen Ausrüstung machen einen guten Höhlentaucher aus", weiß Joe Bruckner vom Tauchsportverband Österreich (TSVÖ). Der erfahrene Profitaucher bildet seit Jahren Höhlentaucher aus und kennt die Molnar-Janos-Höhle wie kaum ein anderer. "Wer einmal in diese atemberaubende Unterwasserwelt vorgedrungen ist, der kommt immer wieder." Bald schon macht er sich mit neuen Höhlentauchschülern auf den Weg nach Budapest. Das Abenteuer wartet, und sowohl die Molnar-Janos-Höhle als auch die Mine in Kobanya bieten noch viele Geheimnisse, die es in zukünftigen Tauchgängen zu entdecken gibt.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors.