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08. February 2021

Auf dem Grund des Meeres

Vor 75 Jahren startete von Italien aus ein amerikanischer Bomber einen Luftangriff auf Wien. Wenige Stunden später versank das Flugzeug vor der kroatischen Insel Vis und liegt seitdem in 72 Metern Tiefe. Die Seeteufel begaben sich auf Spurensuche und haben das Wrack besucht.

Text: Michael Biach / Fotos: Franz Mittermayer

Noch einmal kontrollieren wir an der Wasseroberfläche treibend unsere umfangreiche Tauchausrüstung. Die Ventile der Doppelstahlflaschen, gefüllt mit einem Helium-Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch, am Rücken müssen erreicht werden, um bei Problemen mit der Luftversorgung richtig reagieren zu können. Der um den Hals liegende zwei Meter lange Schlauch des Atemreglers, der im Notfall an den Tauchpartner abgegeben wird, muss frei liegen. An unserer linken Seite platzieren wir weitere Aluminiumflaschen, eine davon mit reinem Sauerstoff, die wir für die spätere Dekompression während des langwierigen Aufstiegs an die Oberfläche benötigen werden. Die Taucher signalisieren sich gegenseitig, dass sie für den Abstieg bereit sind. Mit einem lauten Zischen entweicht die Luft aus unseren Auftriebskörpern und langsam sinken wir in das tiefe dunkelblaue Meer hinab.

Das Ziel unseres Tauchgangs ist eine 23 Meter lange und 32 Meter breite Boeing B-17 G, ein schwerer Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg, der vor genau 75 Jahren vor der Küste der heutigen kroatischen Insel Vis im Meer versunken ist. Aufgrund der großen Tiefe von über 70 Metern und der damit verbundenen logistischen Planung eines Tauchgangs, ist die Erkundung des Flugzeugwracks nur entsprechend ausgebildeten Tauchern vorbehalten. In 50 Metern Tiefe können die ersten Umrisse des Flugzeugkolosses im glasklaren Wasser ausgemacht werden. Schnell wird klar, warum die B-17 aufgrund ihrer Größe im Krieg auch als Flying Fortress, als fliegende Festung, bezeichnet wurde. Das Wrack ist eines der letzten erhaltenen Exemplare dieses Bombertyps und unter Wasser in diesem Erhaltungszustand sogar einzigartig. Doch wie kam dieser Gigant auf den Grund des Meeres vor einer entlegenen Insel mitten in der Adria?

Im Jahr 1944 herrscht über Österreich und Süddeutschland ein unerbittlicher Luftkrieg, zahlreiche Städte werden von britischen und amerikanischen Luftstreitkräften bombardiert, um das nationalsozialistische Reich in die Knie zu zwingen. Die Leidtragenden waren vor allem die Zivilbevölkerung. Alleine in Wien starben mehr als 8.000 Menschen bei Luftangriffen. Aber auch die alliierte Flugzeugbesatzung mussten aufgrund der immensen Luftabwehreinrichtungen ständig um ihr Leben fürchten. Viele Luftangriffe wurden von der italienischen Luftwaffenbasis Amendola ausgeflogen. Dort beginnt auch die kurze Geschichte der B-17 mit der Seriennummer 44-6630. Neuerbaut kam das Flugzeug am 3. November 1944 auf der Basis an und wurde bereits am 6. November auf den ersten Kampfeinsatz mit Angriffsziel Wien geschickt.

Auf unserem Weg in die Tiefe nimmt das Tageslicht mit jedem Meter weiter ab, nur dank starker Unterwasserlampen können wir in 72 Metern jedes Detail des beinahe perfekt erhaltenen Flugzeugwracks erforschen. Aufrecht, wie auf einer Landebahn stehend, liegt die Maschine im schlammigen Meeresboden. Das linke Fahrgestell ist ausgefahren, ein Reifen ist deutlich zu erkennen, während der rechte Tragflügel auf dem Grund liegt. Der Flugzeugrumpf wurde nach dem Aufprall in den Grund gedrückt, durch die offenen Fenster der Seitenkabine können wir die Flugzeugkabine untersuchen. Die meisten Armaturen scheinen noch intakt, viele Anzeigen sind perfekt erhalten und lesbar, Hebel und Griffe sind in derselben Position, wie vor eine Dreivierteljahrhundert, als die B-17 unterging.

Von Amendola aus startete der Bomber und seine 10 Besatzungsmitglieder am 6. November 1944 Richtung Wien. Der Flug der Formatino verlief ruhig, wie Merrle C. Sieling, der Steuerbordschütze knapp ein halbes Jahrhundert später, nachdem das Wrack von slowenischen Tauchern entdeckt wurde, berichten wird. Doch über Wien angekommen verschloss eine starke Wolkendecke über der Stadt eine weitere Bombardierung und der Pilot Irving G. Emerson wurde angewiesen, mit weiteren Bombern der Formation, das Ausweichziel Maribor anzugreifen. Die slowenische Stadt war ein wichtiger Eisenbahnknoten, Angriffe waren keine Seltenheit und so gab es eine entsprechende Luftabwehr. Innerhalb kürzester Zeit wurde die B-17 von dutzenden Luftabwehrgranaten beschossen, eine davon explodierte schließlich knapp unter dem Flugzeug. Die Wucht der Detonation musste enorm gewesen sein, es dauerte eine Zeit, bis die Crew sich wieder auf ihre Plätze begeben konnte und eine Schadensmeldung erfolgte. Schnell war klar, dass das Hydrauliksystem irreparabel beschädigt wurde. Der Bombenschatz konnte nicht mehr geschlossen werden, das linke Fahrgestell wurde ausgefahren. Der Pilot musste auch feststellen, dass bereits einer der vier Motoren ausgefallen war, ein weiterer war leck und verlor massiv an Öl. Emerson hatte also keine andere Wahl, als mit den zwei verbliebenen Motoren den nächsten verfügbaren Landeplatz zu erreichen.

Bei unserem Tauchgang inspizieren wir nacheinander die vier Motoren und denken daran, wie es wohl für die Crew gewesen sein muss, als diese nacheinander ausfielen. Im Innenraum des Flugzeugs entdecken wir die Tür zur Funkkabine, von wo aus der Bomber um Landeerlaubnis bat. Wir entdecken auch die aus Plexiglas bestehende Flakkuppel mit den Maschinengewehren, die zur Abwehr gegnerischer Flugzeuge diente. Um das Wrack herum liegen Teile der Fallschirme, die die Crew jedoch nicht einsetze. Im Inneren der Pilotenkanzel entdecken wir dann unterhalb der Steuergriffe auch Reste von Schuhen und Kleidung. Welchem Besatzungsmitglied sie gehörten wissen wir nicht, es ist dennoch ein schauriges Bild, immerhin ist die B-17 auch ein Kriegsgrab.

Unmittelbar nach dem Granatentreffer forderte der Pilot Irving G. Emerson seinen Steuerbordschützen Merrle C. Sieling auf, in die Pilotenkanzel zu kommen, der Kopilot Ernest Vienneua war schwer am Kopf verletzt und benötigte Hilfe. Sieling konnte, wie er später als Zeitzeuge ausführlich berichtete, unter größter Anstrengung den offenen Bombenraum überqueren und Viennau befreien. In der Zwischenzeit fiel auch der dritte Motor aus und Pilot Emerson bot seiner Crew an, das Flugzeug mit dem Fallschirm zu verlassen. Da aber noch nicht klar war, ob Viennau überleben würde und ein Sprung für einen Schwerverletzten keine Option darstellte, entschloss sich die Besatzung an Bord zu bleiben, bis man den Landeplatz auf der kroatischen Insel Vis erreichen wurde. Vis war das Hauptquartier der jugoslawischen Partisanen unter Josip Broz Tito. Dort konnten beschädigte Flugzeuge notlanden, sofern sie mit der kurzen Landebahn auskamen und diese überhaupt frei war. Merrle Sieling musste indessen feststellen, dass Vienneau verstorben war und nicht mehr gerettet werden konnte. Als Emerson das Flugzeug Richtung Landebahn flog, sah er eine rote Leuchtrakete am Himmel aufsteigen, ein Hinweis darauf, dass die Landebahn blockiert war und er nicht landen konnte. Zu diesem Zeitpunkt fiel auch der letzte Motor der B-17 aus und die Maschine hatte keine andere Möglichkeit mehr, als eine kontrollierte Wassernotlandung zu vollziehen. Die Crewmitglieder begaben sich in den Funkraum, Emerson und der regungslose Vienneau verlieben in der Pilotenkanzel. Tatsächlich gelang des Emerson das Flugzeug ohne große Beschädigungen an der glücklicherweise glatten Meeresoberfläche zu landen. Als das Flugzeug zum Stillstand gekommen war, öffnete Sieling die obere Tür des Funkraumes und die Besatzung kletterte auf den Flugzeugrumpf. Mit einem Rettungsfloß verließen sie das Flugzeug. Den schwer verletzten Vienneau konnten sie nicht mitnehmen. Nach einer Weile versank die B-17 mit den sterblichen Überresten des Kopiloten und sank hinab auf den Grund des Meeres. Ein halbes Jahrhundert blieb das Wrack unentdeckt, bis slowenische Taucher es vor der südlichen Küste der Insel Vis entdeckten. Die Überreste von Ernest Vienneau wurden später zum Teil von amerikanischen Marinetauchern geborgen.

Nach einer knappen halben Stunde am Flugzeugwrack müssen wir uns schließlich auf den beschwerlichen Rückweg machen. Es wird eine weitere Stunde brauchen, bis sich unsere Körper an den reduzierten Umgebungsdruck gewöhnt haben und wir alle in der Tiefe aufgesättigten Gase wieder abgeatmet haben, um nicht Gefahr zu laufen, einen Dekompressionsunfall zu erleiden.

Beim Auftauchen versuchen wir mit den Lichtkegeln unserer Lampen das im Dunkel liegende Flugzeug noch einmal sichtbar zu machen, doch der Bomber ist verschwunden.